Achim Freyer

Die Herausforderung und die Gefahr des Scheiterns – das ist der Reiz am Theater.

Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer über Theaterräume, Ideensuche, Philip Glass und seine Potsdamer Inszenierung von „The Fall of the House of Usher“

Achim Freyer

© Elmar Schwarze, studio 34

Ein Interview mit Achim Freyer zu arrangieren ist keine leichte Angelegenheit. Vor allem wenn der vielbeschäftigte Regisseur in den USA weilt, wo er in Los Angeles gerade Wagners „Ring“ auf die Bühne bringt. Doch schließlich stand die Telefonleitung, einen Monat vor der Premiere seiner Inszenierung von Philip Glass’ Oper „The Fall of the House of Usher“ im Schlosstheater Potsdam, die am 06.11.2009 stattfindet.

Herr Freyer, wie kam es dazu, dass Sie im Schlosstheater Potsdam die Oper von Philip Glass „The Fall of the House of Usher“ inszenieren?
Freyer: Die Kammerakademie  Potsdam hatte die kühne Idee, mich zu fragen (lacht). Weil ich in Deutschland als Glass-Spezialist gelte, seit dem ich Glass’ Opern- Trilogie in Stuttgart gemacht habe. Da ich aber gerade den „Ring“ in Los Angeles inszeniere, waren sie eigentlich ohne Hoffnung, dass ich überhaupt darauf eingehe.

Sie haben es dennoch gemacht.
Freyer: Ja, weil ich nach solchen Arbeiten immer süchtig bin. Ich glaube, dass ich mit dem Freyer-Ensemble genau diese Musik und diese Art Theater, die immer wieder mit Entdeckung zu tun hat, gut in Szene setzen kann, mit Experimenten, die man sich an festen Häusern nicht leisten kann.

Und der kleine Raum im Schloss-Theater hat Sie gereizt?
Freyer: Ich habe einmal ganz am Anfang – ohne konzeptionelle Vorarbeit – eine Probe dort gemacht. Da hat sich das Schloss fantastisch angeboten, mit Klappen im Boden mit einem Fenster, das zum Garten rausgeht, wir haben die Madelaine (Figur aus „The Fall of the House of Usher) außen an diesem Fenster vorbeischweben lassen – das wirkte unheimlich. Für mich bot sich dieser Raum unglaublich gut an.

Sie haben vor vielen Jahren in einem Interview gesagt, dass Sie modernes Theater in einem modernen Raum, wie zum Beispiel einer Fabrikhalle, langweilig finden würden.
Freyer: Ja, ich bin sehr gegen Doppelung. Wenn ein Raum schon einen zeitgenössischen, harten, radikalen Charakter hat, dann finde ich es reizvoller, dort ein barockes Stück oder einen Shakespeare zu machen, der dann durch diesen Raum einen ganz neuen, heutigen Aspekt bekommt. Wenn ich dort aber zeitgenössische Stücke realisiere, laufe ich schon offene Türen ein. Da wiederum interessiert es mich mehr, ein traditionelles Haus mit etwas Modernem in eine Sensation zu verwandeln, dass man das Gefühl hat, man spürt das Haus gar nicht mehr, das ist plötzlich wie heute.

Helfen diese Gegensätze auch dem Zuschauer, Ihren Inszenierungen nahe zu kommen?
Freyer: Das glaube ich ganz bestimmt, weil die Entscheidung in einer Fabrik eine aus dem Humanismus gewachsene Theaterarbeit zu realisieren… da ist der Zuschauer ja unglaublich aufmerksam, wie sich irgendwelche Rohre oder Leuchtstoffröhren im Raum verlieren, oder Abrisswände. Das setzt er um in seine Phantasie, meinetwegen in eine Schlossatmosphäre oder die eines bürgerlichen Hauses. Er muss immer mitarbeiten im Theater, das ist glaube ich die große Lust des Zuschauers. Und die will ich nicht bremsen, sondern die will ich erzeugen  Ich möchte den Zuschauer nicht zu einem Voyeur machen, der nur in ein fertiges Nest guckt, wo er gar keine Chance hat einzugreifen, weil er von außen sagt: „Naja, das ist ja da ganz schön, und ein Glück, dass ich das nicht bin, was ich da sehe.“ Genau das Gegenteil möchte ich erreichen.

Sie sagten vorhin „Glass-Spezialist“ – was verbindet Sie mit Philip Glass, im künstlerischen Sinne?
Freyer: Zunächst einmal sind wir Zeitgenossen, auch altersmäßig. Und ich denke, dass unsere Erfahrung mit Großstadt, mit Konfrontation des Lärms, der Umweltverschmutzung, der Wiederholungsstrukturen, der wahren Massengesellschaft usw. gleiche Erfahrungen sind. Seine Musik ist für mich eine radikale Änderung des gewohnten Goldenen Schnitts, den man immer wieder in der Musik findet. Er treibt Musik voran, die Zeit geht wie eine Dampfwalze über das Leben hinweg. Und so wie unser Alltag täglich Wiederholung aber trotzdem auch immer wieder neu ist, so ist diese Musik aufgebaut. Sie entspricht im Aufbau nicht dem klassischen Bild von Theater, das auf einen Höhepunkt zuläuft. Das macht die Arbeit auch sehr schwer, weil man in dieser großen Linie und Fläche von Musik natürlich Ortungen herstellen muss, auf der Bühne.

Was ist dabei Ihr Konzept? Wie schafft man bei einer Oper eine Verbindung, wenn die Musik sehr repetitiv ist, die Handlung aber voranschreitet?
Freyer: Also, das kann ich Ihnen so gar nicht verraten, weil ich damit gerade beschäftigt bin und auch noch suche. Das war in den großen Glass-Opern, die ich in Stuttgart inszeniert habe, meine Hoffnung, dass ich frei bin als Regisseur und Welten erfinden kann, die sich parallel zu der Musik bewegen. Die Musik bleibt dann unberührt davon, sie läuft parallel, ist aber keine Illustration, wird nicht degradiert zur Untermalung, sondern wird freigesetzt, dass sie nicht irgendwelche Handlungen bedienen muss. Das war mein Traum. Aber mit dem Freiheitsgedanken bin ich dann in die größten Zwänge geraten weil natürlich diese Musik haargenau fordert, dass nach 12 Minuten exakt auf der Bühne etwas anderes passieren muss. Die Musik mischt sich ein, sie zwingt mich, sie verführt natürlich auch – den Umgang damit muss ich rauskriegen ,das liegt bei Glass nicht auf der Hand. Es gibt auch keine Regieanweisungen, die das vorgeben.

Glass hat mit „The Fall of the House of Usher“ eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe vertont, er sagt, er will mit seiner Musik die emotionale Welt von Poe vermitteln…
Freyer: Ja, das ist ihm gelungen. Es ist erstaunlich, wie er mit minimalistischen Mitteln fast Gruselmusik herstellen kann. Und wie dazu sehr horrorartige Szenen möglich wären. Aber da bin ich natürlich wieder Regisseur und sage: Das hat die Musik, soll sie auch haben, aber das muss ich nicht nochmal zeigen. Ich versuche halt den Text zu begreifen, diese Geschichte: Was könnte der Sinn dieser dem Williams unbekannten Zwillingsschwester sein, die im Sterben liegt und dann den Bruder mit ins Grab nimmt? Sind das überhaupt reale Vorgänge, ist das ein Traum vom William, ist die ganze Reise ins Schloss nur eine Wahnphantasie des wahnsinnigen William? Oder ist der Freund Roderick, den er besucht, der Wahnsinnige, der gar keine Schwester hat, und so suggestiv über das Phänomen Schwester spricht, dass die Diener und Ärzte die Schwester leibhaftig erleben und sehen?

Sind Sie selbst, einen Monat vor der Premiere Ihrer Inszenierung noch auf der Suche?
Freyer: Natürlich, der Prozess geht auch bis zur Premiere. Dann muss man halt aufgeben und es bleibt vieles offen. Es bleiben Fragen – und Fragen sind das Wichtigste, was im Theater passieren kann. Wenn ich die Antwort wüsste und darstellen würde, dann würde ich das Publikum bevormunden, glaube ich. Ich muss die Möglichkeit schaffen, dass jeder so viel, wie in diesem Stück steckt, auch denken kann. Und damit weiterarbeiten und sich einbeziehen kann.

Nun würde der ein oder andere Zuschauer aber vielleicht denken, dass der Regisseur weiter ist, ein Werk durchschaut hat, dass er auf die Bühne bringt.
Freyer: Also, ein Beispiel: Ich habe mir zuletzt einige Inszenierungen des „Rings“ angesehen. Und bei diesen Aufführungen hatte ich nicht das Gefühl, dass die Regisseure viel über das Stück wissen. Das ist technisch auch fast gar nicht möglich. Weil die meisten großen Theaterregisseure haben den Beruf Theater zu machen, die  machen im Jahr zwei, drei Inszenierungen – wie soll man es da schaffen, sich für einen Ring vorzubereiten? Das braucht Jahre.
Da ich mich damit jetzt schon vier Jahre mit dem „Ring“ beschäftige weiß ich ein bisschen was in diesen Stück steckt und steht. Und ich habe natürlich auch das Anliegen über vieles davon zu sprechen, meine Erfahrung einzubringen und zur Diskussion zu stellen. Da geht es aber auch um meine Mitarbeiter, die ich dafür über die Jahre verpflichtet habe, die Anstöße gegeben haben, die ich weiter verarbeitet habe. Das sind große kollektive Prozesse, die so eine Art Theater braucht.

Aber wie ist es mit diesem Wissen bei der Glass-Oper, die Sie aktuell inszenieren?
Freyer: Ich würde sagen, auch nach der Premiere bleiben für mich die Auseinandersetzungen mit den thematischen Fragen. Vor allem, wenn es denn Glass selbst nicht mal klar war, werden die Fragen immer noch wichtiger und größer. Gut, das war jetzt meine Unterstellung – aber ich finde keine Hinweise, über Klärungen bestimmter Vorgänge. Was Schwester und Roderick, was William der Freund, der reist und was die Geschichte am Schluss ist, oder der Drache, der getötet wird… – die Deutungen dafür muss man selbst finden.

Glass gibt Ihnen keinen Hinweis durch die Partitur?
Freyer: Absolut nicht, die Partitur verweigert sich, würde ich sagen. Und das ist ja auch sehr angenehm.

Warum angenehm?
Freyer: Sonst würde ich ja zum Voyeur und Mitwisser gemacht werden. So bin ich gefordert meine eigene Welt als Vergleich oder als Gegenbild zu setzen.
Die Partitur verweigert jede Art von Deutung, sie macht zwar Atmosphäre und Stimmungen, aber selbst die Stimmungen: da steht „heller Tag an einem harten Wintertag im Januar, helle Sonne“ und man hört tatsächlich eine heitere Musik und völlig depressiv antwortet in dieser Stimmung der William darauf… So ein Gegensatz ist wunderbar, aber man weiß nicht warum er da ist.

Eine Unschlüssigkeit im Werk stört Sie bei Ihrer Arbeit nicht.
Freyer: Nein, dadurch wird es ja interessant. Wenn ich das alles vorher wüsste, und wüsste wie ich es mache – dann würde ich die Inszenierung natürlich nicht machen. Das Schwere, die Herausforderung, auch die Gefahr des Scheiterns – das ist der Reiz am Theater.

Sie haben von Wagner gesprochen – sehen Sie in zeitgenössischen Komponisten noch Genies oder ist die heutige Komponistengeneration eine ganz andere?
Freyer: Das ist eine schwere Frage, auch weil es dafür viele Definitionen gibt. Genie ist Fleiß, oder Fügung, oder … Ich weiß nicht, ob nicht in jedem Künstler ein Aspekt von Genialität steckt. Das müssen ja nicht immer die großen Findungen sein und Würfe, ich denke, es gibt oft sehr kleine Schritte, die unglaublich wichtig werden und neu sind. Ich habe oft das Gefühl, bei Salvatore Sciarrino oder bei John Cage, dass da Momente des Genies aufblitzen.
Bei vielen anderen weiß ich, dass es nicht der Fall ist. Das ist klar, aber da bin ich vorsichtig. Weil die Zeit spielt auch eine Rolle. Wenn ich ein Bild male bin ich immer begeistert schon in dem Augenblick, in dem ich es als fertig empfinde. Der nächste Morgen macht mir dann schon wieder Angst, es anzugucken. Nach einer Woche ist es überhaupt kein gutes Bild mehr – dann lasse ich es liegen, stelle es weg, bis ich es gar nicht mehr sehe. Und nach drei Wochen finde ich es wieder – und dann ist es doch ein gutes Bild. Wenn es mir mit meiner Arbeit so geht – wie soll ich da das Genie eines anderen Künstlers beurteilen?

Um Ihren Vergleich aufzugreifen: In der zeitgenössischen Musik werden leider viele Bilder geschaffen, die gar nicht wieder herausgeholt werden, nach ihrer Uraufführung nicht wieder zum Vorschein kommen.
Freyer: Das liegt oft daran, dass man sie zu gut inszeniert. Dann traut sich keiner mehr, es zu machen, so dass man sagt: Das war so einmalig, verschmolzen, Inszenierung und Werk …wie bei „Einstein on the Beach“ und der Inszenierung von Robert Wilson.

Nun ja, „Einstein on the Beach“ ist aber doch sehr bekannt geworden, und wurde mehrfach inszeniert. Ich meinte Werke zeitgenössischer Komponisten, die nach der Uraufführung niemand mehr hört.
Freyer: Das gab es immer in allen Jahrhunderten – und plötzlich ist die große Entdeckung da. Das ist auch unserem Bach so gegangen und allen möglichen Opernkomponisten. Die Mannheimer Schule wird jetzt wieder aktiviert, da werden große Entdeckungen gemacht. So etwas wird uns immer wieder passieren. Manchmal braucht es einfach äußere Moden, um wieder nach so etwas zu suchen. Und dann, auf einmal ist so etwas wieder führend und ganz wichtig – und sogar genial.

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